
Es ist dunkel. Schon viel zu spät für kleine Mädchen wie mich. Kalt ist mir auch. Wir haben ein großes Haus und der Wind sucht sich jede kleine Lücke im Gemäuer. Immer, wenn ich verharre frieren meine Fußsohlen am Boden fest. Ich muss laufen. Schneller, damit mir warm wird. Dabei summe ich mein Lieblingsschlaflied.
„Guten Abend, gute Nacht.“
Mama sagt es ist noch nicht zu kalt für mein Lieblingsnachthemd. Die Bettdecke würde mich wärmen. Aber erst muss ich auf Erkundungstour. Ich schaue um Ecken und in Räume, laufe an kuscheligen Sesseln und geheimen Gängen vorbei. Ich kenne das Haus. Auch, wenn es nachts anders aussieht. Mit einem kleinen Sprung wird mir sicher wärmer. Mit jedem Hopser schlenkert mein rosa Saum an meinen Beinen entlang. Es kitzelt und ich beschließe, meinen Weg so weiter zu gehen.
„Mit Rosen bedacht“
Die Kälte krabbelt immer höher. Von den Fußsohlen an die Waden. Vielleicht, wenn ich schneller hopse? Langsam kenne ich die Gänge nicht mehr so gut. Es ist ein großes Haus und Mama sagt, ich darf nicht überall hin. Vorsichtig schau ich um die nächste Ecke. Kein Kerzenflackern, kein Geräusch. Die Kälte krabbelt meinen Rücken hinauf und ich versuche ihr zu entfliehen, indem ich immer weiter laufe.
„Mit Näglein besteckt, schlupf unter die Deck‘“.
Meine Blicke streifen Steinwände. Diese gibt es nur im Keller. Mama sagt ich darf nicht in den Keller. Ich blicke hinter mich und schaue, ob sie mich sieht. Mama hat liebe Augen und lächelt immer, wenn sie meinen Kopf streichelt. „Haare wie Gold“ sagt sie dann immer. Ich möchte nicht, dass Mama traurig wird, aber ich möchte wissen, was da unten ist. Der Saum kitzelt wieder an meinen Beinen, die Kälte lässt meinen Körper kribbeln. Einfach weiter.
„Morgen früh, wenn Gott will…“
Da! Weint da jemand? Hopsend laufe ich weiter. Springen tut gut. Es wirkt als würde ich schweben. Weg vom kalten Boden. Ich glaube, es ist ein Mann der da weint und er redet. Was redet er nur? Ich höre auf zu hopsen und laufe den Gang entlang.
„… wirst du wieder geweckt, …“
Ein Blick in den nächsten Raum zeigt mir, wer da weint. Ich glaube er ist ein Freund von Mama. Er beugt sich nach vorne und flüstert etwas: „Ich hab das nicht gewollt“. Seltsam. Was hat er nicht gewollt? Neugierig stelle ich mich in die Tür und sehe, dass vor ihm jemand liegt. Der Boden ist doch viel zu kalt zum Schlafen. Die Gänsehaut ist nun bis auf meinen Kopf gekrabbelt. Es fühlt sich seltsam an. Aber ich möchte nicht mehr hopsen. Möchte eigentlich weg, bevor der Mann mich sieht. „Ich hab das nicht gewollt“.
„…morgen früh,…“
Ich weiß nicht warum, doch die Kälte in meinem Rücken treibt mich nach vorne. Möchte wissen wer da liegt. Mit jedem Schritt sehe ich mehr. Es sind dünne Beine. Der Saum eines Kleides. Ohne darüber nachzudenken streiche ich über mein Nachthemd. Der Wehklang des Mannes wird lauter. Er beugt sich zu der Person vor sich und haucht ihr einen Kuss auf die Stirn Ich traue mich näher – nur einen kleinen Schritt. Goldenes Haar sehe ich. Ich bleibe stehen. Meine Hand streift über meinen Kopf bis hinab zu meinen Haarspitzen. Plötzlich steht der Mann auf. Was ist, wenn er mich sieht?
„… so Gott will…“
Der Mann wird hektisch. Sieht sich um. Sieht mich nicht. Er läuft los und auf mich zu. Wieso hält er nicht an? Wieso bleibt er nicht stehen? Er läuft durch mich hindurch, mein Blick folgt ihm. Die Kälte ist nun überall. Der Mann ist dafür fort. Langsam drehe ich mich um. Dort liegt ein Mädchen. Goldenes Haar, ein schönes Nachthemd. Ich knie mich vor ihr hin. Nehme den Platz des Mannes ein. Streiche über die Haare und hinterlasse doch keinen Abdruck. Wie kommt die Leiche in den Keller? Jetzt weiß ich, warum Mama sagt ich darf nicht in den Keller. Nichts als Böses und Kälte ist hier.
„.. wirst du wieder geweckt.“
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