Kodama

(Bild von Wikipedia-Artikel: Kodama (Geist)

Die Geschichten über Kaiser Riu waren legendär. Allerdings zeugten sie nicht von Heldensagen, sondern von Abscheulichkeiten:


Ein rachsüchtiger Kaiser gebot es sich, Herrscher über alle Ländereien, Völker des Himmels und der Erde zu sein. Jahr um Jahr schlachtete er seine Feinde nieder. Oft mit Tücke und immer unnachgiebig. Der Kaiser sonnte sich in seinem Triumph. Ließ in allen besiegten Ländern Statuen als Mahnung von sich erbauen.
Der Kaiser war überall gefürchtet. Das Volk blieb stumm, ertrug die Herrschaft, denn den Menschen war ihr Leben lieb.
Dennoch: unzählige mutige Männer und Frauen haben nichts unversucht gelassen, um dieser Tyrannei ein Ende zu bereiten. Mit schrecklichem Ende. Ihre aufgespießten Köpfe vor den Toren der Hauptstadt sind Zeugnis der Niederlage. Es ist wahrlich kein angenehmer Anblick, wenn sich Raben an den Augen laben.
In den Tavernen erzählt man sich, Kaiser Riu habe ein magisches Amulett, das ihn vor Schaden durch Gift und Schwert bewahrt. Er habe Magie aus einer anderen Welt bezwungen und sich dienlich gemacht. Dies würde erklären, wie er so viele Menschen unterjochen konnte, sagt man sich. Bisher vermochte kein Gift, ihn zu töten, und kein Speer, ihn zu verletzen.
Mittlerweile ist sein Erbe Redis alt genug, seinen Gräueltaten nachzueifern. Er wurde großgezogen wie ein Schwein zum Schlachten. Für den Fall, dass er es wagt, aus der ihm zugedachten Rolle zu fallen, würde der Kaiser einen Weg finden sich ihm zu entledigen – wie schon zuvor. Denn in all den Unruhen werden Stimmen lauter, dass der wahre Nachkomme und älteste Sohn Ezra noch lebt. Den Anschlag durch Feinde der Kaiserfamilie damals soll er überlebt haben. Des Kaisers Erstgeborener und einziges Kind seiner ersten Frau, war ihm von jeher zu gutmütig gewesen. Er habe das zu weiche Gemüt seiner Mutter geerbt und ließ sich dies in all den Jahren nicht austreiben. Weder durch Erziehung noch durch Gewalt.
Redis hingegen stand seinem Vater in Blutdurst und Machthunger in nichts nach. So kam es, dass der vierzehnjährige Ezra bei einem Jagdausflug verunglückte. Redis selbst kam mit einer großen Wunde an der linken Seite, aber ohne Wachen zurück zum Palast. Meldete einen Überfall, in welchem er als einzig Überlebender hervorgegangen schien. Die Leichen der Leibgardisten und die des Prinzen wurden von den vermeintlichen Tätern bis zur Unkenntlichkeit verbrannt Da der Hinterhalt in der unmittelbaren Nähe eines kleinen Dorfes geschah und nicht einer der Dorfbewohner seinem Erben zur Hilfe kam, wurde dieses auf Geheiß des Kaisers komplett ausgelöscht. Zur Asche verbrannt.
Nach all den Jahren war dort kein fruchtbares Land zu erkennen. Man sagte, das Blut der Verstorbenen sei zu tief in den Boden gesickert, als dass je wieder Leben entstehe. Man sagte, die Erde trauerte um die Gefallenen. Den Kaiser störte dies nicht. Hatte er doch unzählige andere Ländereien in seinem Besitz. Dass sein Volk immer weiter in Armut versank, bemerkte er vor lauter Prunk in seinen eigenen Gemächern nicht. Er selbst beschäftigte sich lediglich mit der Beschaffung neuer Kaiserreiche. Die Versorgung der eingenommenen Ländereien überließ er eigens dafür ernannten Truchsesse.
Doch bei all dieser erbarmungslosen Routine begann der Kaiser Fehler zu begehen. Er mochte schon die meisten Reiche der Menschen annektiert haben, aber auf die Legenden der alten Länder achtete er nicht. Trotz seines Amuletts, was ihm Zeugnis von Magie und Übersinnliches genug sein müsste, hielt er nicht-menschliche Wesen für Hirngespinste. Selbst, wenn genug Geschichten über magische Artefakte erzählt wurden, hielt der Kaiser sie eher für ein schönes Anhängsel.
Auf der Suche nach dem letzten freien Kaiserreich streifte sein Blick ein Territorium im Osten. Getrennt durch einen Wald. Seine Berater und die Bewohner der anliegenden Stadt versuchten, ihn von diesem Vorhaben abzubringen. Die Menschen sagen, dem Gelände wohne Magie inne. Man sprach davon, dass die Bäume Seelen hatten. Stoffe an den Ästen wehten im Wind, verkündeten eine nie dagewesene Stille. Streifen, die eine Vielzahl der Bäume als Beseelte kennzeichneten. Jäger, die sich einst zwischen sie gewagt hatten, waren nie mehr gesehen. Nur nicht verblassen wollende Fußabdrücke im bemoosten Boden waren Zeugnis ihres Eintretens. Zeugnis und Mahnung zugleich.
Doch der Kaiser blieb unnachgiebig. Er beanspruchte die Ländereien hinter dem Wald. Das Reich derer, die sich ihm am längsten widersetzt hatten. So brannte er eine große Schneise in den Boden. Als der Krieg beinahe an der Grenze des alten Kaiserreichs angelangt war, suchten den Kaiser Albträume heim. Kleine weiße Wesen beobachteten ihn zwischen den Ästen. Drängten den Kaiser in die Mitte des Waldes. Ihre Köpfe drehten sich.
Klick-Klack.
Der Kopf fuhr von rechts nach links.
Klick-Klack.
Schwarze Höhlen statt Augen.
Klick-Klack.
Von links nach rechts.
Klick-Klack.
Einmal im Kreis.
Der Kaiser war umzingelt. Ohne Schwert. Ohne Gefolge.
Klick-Klack.
Immer näher kamen die Wesen. Der Herrscher über eine Vielzahl an Ländern floh auf eine Lichtung. Nacht für Nacht wälzte er sich im Schlaf umher. All die Heiler hatten keine Tinktur, um ihm das Träumen zu nehmen. Er drohte, seinen Verstand zu verlieren, als er auch tagsüber begann, die seltsamen Wesen zu sehen. Zu hören, wie sie ihre Köpfe mit dem knacksenden Geräusch herumdrehten.
»Lauf weg. Können mich nicht holen«, flüsterte der Kaiser.
Dabei lief er in seinem Lager auf und ab. Immer mit den Augen in Richtung des Waldes. Seine eigenen Wachen trauten sich, das erste Mal seit Jahren, unruhige Blicke untereinander zu tauschen. Was hatte dies zu bedeuten? Sollte der Wald doch verwunschen sein?
»Lasst sie brennen. Lasst sie lodern.«
Mit jedem weiteren Tag wurden die Rufe des Kaisers wirrer. Redis wurde gerufen, um seinem Vater beizustehen. In einer Schlacht, frei von Gegnern. Das Kaiserreich hinter den Bäumen hatte sich noch nicht gezeigt. Verstärkte sicherlich seine Barrieren, ohne anzugreifen.
Klick-Klack.
Die ersten Wesen erschienen dem Kaiser wieder zwischen den Stämmen.
»Nicht real. Nicht real.«
Klick-Klack.
Ihre Köpfe drehten sich von rechts nach links, von links nach rechts und rundherum.
Klick-Klack.
Der Kaiser hielt sich die Augen zu, in der Hoffnung, das Gesehene aus seinen Gedanken zu vertreiben.
»Was ich nicht sehe, ist nicht da.«
Klick-Klack.
Ohne seine Augen verschärften sich seine anderen Sinne. Immer näher kamen die Geräusche.
Klick-Klack.
Klick-Klack.
Der Kopf des Kaisers eilte herum, um den Ursprung der Laute auszumachen.
Klick-Klack.
Des Kaisers Kopf ging von rechts nach links, von links nach rechts.
Klick-Klack.
Des Kaisers Kopf ging rundherum.
Es war einmal ein Kaiser, der die Verwünschung der Waldgeister auf sich zog.

 

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